Yvonne Roeb

 

Im Ästhetischen wohnt der Schrecken
von Christiane Fricke


Handelsblatt / 22.03.2012

Die Skulpturen von Yvonne Roeb spielen mit der Verwandlung von Tier und Mensch. Ihre jüngsten
Arbeiten entstanden während eines New York-Aufenthaltes. Wilma Tolksdorf zeigt die überwiegend
kleinformatigen Objekte in ihren Frankfurter Galerieräumen.
Die fleischfarbene Riesenkrabbe hat ihre Scheren elegant miteinander verschränkt. Beeindruckend wirkt sie mit ihrer übertrieben großen 40 Zentimetern Spannweite, wobei ihre langen Gliedmaße weit über das Wandbord aus Raucheiche hinausragen. In Augenhöhe wurde sie in der Frankfurter Galerie Wilma Tolksdorf so platziert, dass man nah an sie herantreten kann. Dass ihr der Rumpf und damit das Lebenszentrum fehlt, ist auf den ersten Blick nicht zu sehen.
Für die in Berlin lebende Künstlerin Yvonne Roeb ist die Einzelausstellung bei Tolksdorf ein Heimspiel. 1976 wurde sie in Frankfurt am Main geboren. Sie hat in Münster bei Timm Ulrichs studiert und war Meisterschülerin von Katharina Fritsch. Beide Künstler haben Spuren in ihrem noch jungen Werk hinterlassen: Ulrichs, der für seine verblüffenden Visualisierungen tautologischer Wortspiele bekannt ist, aber vor allem Fritsch mit ihren prototypischen Gebrauchsgegenständen der Alltagskultur, die sie in fremden Farben und Materialien übergroß oder stark verkleinert nachbildet.
Die genauere Inspektion der Skulpturen Roebs erzeugt subtiles Unbehagen. Den beiden Papageienvögeln, die an ihrem wichtigsten Organ verschmolzen sind wie siamesische Zwillinge, fehlt der Kopf („Acephalous“). Eine schwarze Schlange („Helix) verschlingt sich scheinbar selbst, die Vögel, die offenbar schlafend auf einem hautfarbenen Schweinslederbezug übereinander liegen, haben ein gebrochenes Genick („13“), und eine antik anmutende Gipsbüste besitzt eine männliche und eine weibliche Gesichtshälfte („FEMALE“). Anmut, Schönheit und Schrecken wohnen in den Werken Yvonne Roebs. Sie strahlen eine große Ausgeglichenheit aus, so wie alles Schreckliche im ästhetischen Gewand. Jedes Einzelne ist von einer feinen Balance, bis in die Details der Materialwahl und seiner Behandlung. Sie zeigen sich erst bei näherem Hinschauen. Etwa die schwarze Haut der tänzerisch aufgerichteten, sich windenden Schlange, die nur eine leere Hülle ist und ein Fragment, dessen Fehlstelle von geflochtenem Pferdehaar ersetzt wird.
Keines der Gegenstände ist, was es scheint. Stets werden mehrere Lesarten angeboten. Das gilt auch für das vielteilige Wandobjekt mit den klappbaren Seitentafeln. Von weitem sieht es aus wie ein unvollendeter mittelalterlicher Altaraufsatz. Diese Ähnlichkeit inspirierte auch den Titel „Retable“. Das Objekt hat sogar so etwas wie einen Goldgrund, auch wenn er matt geworden ist und statt einer christlichen Bilderwelt beim Herantreten lediglich feine Krakelees zu erkennen gibt. Das Werk wirkt wie tot. Doch auch hier ist die Balance der Lesarten auffällig austariert. Es könnte genauso gut ein monochromes Gemälde der Gegenwart sein.