Yvonne Roeb

  Art Week Berlin
Riesenbroiler, frisch gedruckt

von Carola Padtberg, "Spiegel" 14.09.2016

In drei Einzelausstellungen zur Berliner Art Week besinnen sich Künstler auf Tiere und Natur als Inspiration - mit utopischen Landschaften und monumentalen Huhn-Installationen. Das Huhn ist eines der vom Menschen am grausamsten ausgebeuteten Tiere, millionenfach wird es in Legebatterien oder Mastanlagen gehalten. Doch gibt es auch eine tiefere Beziehung zwischen Mensch und Huhn? Ist das Nutztier nicht selbst ein Kunstwerk, wie überhaupt jede Kreatur? In welchem Verhältnis steht die Konsumgesellschaft zu Naturphänomenen, oder zur sie umgebenden Landschaft?

Mit diesen Fragen beschäftigen sich drei Berliner Einzelausstellungen im Rahmen der Art Week in der Hauptstadt. Etwa die Schau von Bildhauer Andreas Greiner, die er für die Berlinische Galerie konzipiert hat. Der ehemalige Medizinstudent beschäftigt sich seit längerer Zeit mit Naturphänomenen. Seine Performances wirken mitunter wie Aktionen militanter Tierschützer - etwa, als er vor zwei Jahren alle Maden aus Berliner Anglerfachgeschäften aufkaufte und sie schlüpfen ließ. Motto: "Jede Fliege ist ein Kunstwerk". Jetzt untersucht Greiner mit wissenschaftlicher Akribie die Identität von Mikroorganismen und Masthühnern. Im Zentrum der großen Halle der Berlinischen Galerie steht deshalb ein 7,50-Meter-Skelett eines Huhns aus dem 3D-Drucker, in 20-facher Vergrößerung. Das Tier namens Heinrich stammte ursprünglich aus einem Großmastbetrieb nordwestlich von Berlin, als letzter Masthahn seiner Saison wurde er von Greiner gekauft und nach seinem Tod auf einem Kleintierbauernhof per Computertomografie eingescannt. Im Nebenraum zeigt Greiner Bilder von Lebewesen, die normalerweise kaum als solche registriert werden. Das Werk "Acht Köpfe groß" besteht aus 5000-fach vergrößerten Porträts von Algen aus dem Elektronenrastermikroskop. In der extremen Vergrößerung erinnern die Aufnahmen an Außerirdische aus Science-Fiction-Filmen, Greiner bricht aber mit dieser Assoziationsmöglichkeit, indem er seine Modelle Peter, Florian, Katarina und Ulrike nennt.

Zwischen Voodoo und Animalismus
Für den dritten Teil seiner Ausstellung ließ Greiner, ein Meisterschüler von Olafur Eliasson, Filmaufnahmen von Leuchtkalmaren für einen selbstspielenden Flügel vertonen. Greiner wird dieses Jahr mit dem Kunstpreis für die Verschränkung zwischen Kunst und Wissenschaft des Energieunternehmens GASAG ausgezeichnet. Ähnliche Fragen über die Beziehung zwischen Mensch und Tier lotet ebenfalls die Berliner Bildhauerin Yvonne Roeb in der Schering Stiftung aus. "Mensch und Tier liegen näher beieinander, als die meisten sich wünschen oder wahrhaben wollen", sagt Roeb. Die Künstlerin sieht etwas Göttliches in jeder Kreatur, auch in Pflanzen. Sie schafft skulpturale Mischwesen, fremdartig und unheimlich, ein bisschen Voodoo, ein bisschen Animalismus. Ihre surrealen Objekte wirken leicht und filigran, einige schweben von der Decke.

Auch der Maler Sven Drühl verbindet in seinem Werk Wissenschaft, Natur und Kunst. Drühl ist Mathematiker, Kunstwissenschaftler und Tänzer, er kennt sich mit Motivfeldern der Malerei ebenso gut aus wie mit kulturellen Referenzen und Simulationen am Computerbildschirm.
Auf den ersten Blick scheinen seine Bilder aus Ölfarben, Autolack und Silikon bekannte Landschaften zu zeigen. Doch Drühls Gemälde haben mit Geografie wenig zu tun. Er nutzt die Interpretation von Landschaften als Zitatgeber: Er sampelt und mixt Bildausschnitte und Naturfotos von Wolfgang Tillmanns bis Caspar David Friedrich und schafft damit hintersinnig Bilder über Bilder von Landschaften. Das Kunsthaus Haus am Waldsee zeigt diese Kulissen, mit denen er die Wahrnehmung von Landschaft hinterfragt.

Reale Vorlagen, wissenschaftliches Interesse und die utopische Fortführung der Wirklichkeit sind der künstlerischen Vorgehensweise Andreas Greiner, Yvonne Roeb und Sven Drühl gemein. Sie wird die Beziehung des Menschen zu seiner Umgebung ganz neu verhandelt.


http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/berlin-art-week-andreas-greiners-monument-fuer-ein-masthuhn-a-1112124.html